Wer sieht hin? Rechtsradikalismus in Deutschland und die NSU-Morde
Der NSU-Prozess läuft gerade wieder an, die lange Sommerpause geht zu Ende. Vieles liegt um die NSU-Morde noch im Dunkeln, nur Stück um Stück scheint die grausige Mordserie in allen Details aufgeklärt werden zu können. Während Beate Zschäpe also als Angeklagte dem Prozess beiwohnt, hat die NPD am letzten Wochenende in Sachsen eine – sehr knappe – Niederlage hinnehmen müssen. Doch „erledigt“ ist das Problem des Rechtsradikalismus mit einer Niederlage der NPD, dem NSU-Prozess und der Arbeit der Untersuchungsausschüsse nicht.
Gerade die Arbeit im Untersuchungsausschuss, der vom Thüringer Landtag eingesetzt wurde, gilt ja als vorbildlich. Der Verfassungsschutz, so viel wurde deutlich, hat bewusst fahrlässig gehandelt. Es waren nicht einfach Pannen, die die Aufklärung der NSU-Morde erschwerten, sondern bewusst in Kauf genommene Fahrlässigkeiten. Diese erschütternde Erkenntnis zwingt, dass alle Beteiligten beim NSU-Prozess nun umso genauer hinsehen.
Mehr als fünfzehn Jahre ist es her, dass schon einmal gegen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ermittelt wurde. Der Tag, als die Polizei die Garage und die Wohnung Böhnhardts durchsuchte, wurde nun im NSU-Prozess wieder durchgegangen. Die Nebenklage im NSU-Prozess führt einen eigenen Blog, um über das Gerichtsverfahren zu berichten. Die Durchsuchung vor fünfzehn Jahren war schlecht organisiert und schlecht durchgeführt: Der Leiter der Ermittlung, Jürgen Dressler, der nun Zeuge im NSU-Prozess ist, konnte wegen einer Fortbildung damals nicht an der Durchsuchung teilnehmen. Die Polizei hatte nicht einmal das Werkzeug dabei, um ein Vorhängeschloss aufzubrechen und wartete auf die Feuerwehr, die das erledigen sollte, in einer Garage stand Böhnhardts PKW, mit dem dieser – ohne weiteres – fliehen konnte. Die drei Verdächtigen konnten also fatalerweise untertauchen. Diese abstrusen Pannen sind mittlerweile bekannt.
Besonders irritierend erscheint es der Nebenklage, dass Dresslers mehrfach vorgetragene Bitte, die Geheimhaltungsstufe eines Observationsberichts herabzusetzen, vom Verfassungsschutz nicht gestattet wurde. Durch diese Observation wurde angeblich die geheime Garage Böhnhardts, die als Bombenwerkstatt diente, ausfindig gemacht. Aber warum musste dieser Observationsbericht geheim bleiben? Was kann an einem Observationsbericht so brisant sein, dass es niemand erfahren darf? Die Nebenklage mutmaßt, es habe sich gar nicht um eine Observation gehandelt. Der Ort der Garage, die zudem auf einem schlecht einsehbaren Gelände liegt, sei dem Verfassungsschutz womöglich durch einen V-Mann bekannt gewesen, der direkt aus dem Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds stammte.
Ein geheim gehaltener Bericht, der möglicherweise jemanden decken sollte – im Zusammenhang mit diesen brutalen Morden ist das noch immer schwer vorstellbar. Es geht auch andersherum: In dem Blog thueringenrechtsaussen wird eine Polizeiakte herangezogen, die „geleakt“ wurde. Es handelt sich um den Vorwurf wegen sexuellen Missbrauchs gegen einen NPD-Landesvorsitzenden. Der Vorwurf wurde damals nicht weiter verfolgt, da zu diesem Zeitpunkt der NPD-Abgeordnete bereits in einem anderen Verfahren vor einer Verurteilung stand. Doch die „geleakte“ Akte ist nun brisant für die NPD, die im Landtagswahlkampf derzeit massiv härtere Strafen wegen Kindesmissbrauchs und mehr Transparenz von der Polizei fordert. Mehr Transparenz? Das, so ist auf thueringenrechtsaussen zu lesen, ist kaum zu glauben, angesichts dieses gut gehüteten Geheimnisses innerhalb der NPD-Führung.
Auf Rechtsradikalismus, so nimmt man gutgläubig an, sollte man doch in Deutschland besonders empfindlich reagieren. Auf dem Blog Die Wahrheit über die Wahrheit wird in einem anderen Zusammenhang wiederum auf eine bedenkliche Toleranz rechtsradikaler Ideologie aufmerksam gemacht. Es geht um die Unterstützung der ukrainischen Armee durch ein rechtsradikales Bataillon, das sogenannte „Bataillon Asow“. Das rechtsradikale Gedankengut äußert sich zum Beispiel in Hitlergrüßen und der Unterstützung der extrem nationalistischen Band „Wotanjugend“. Äußerst bedenklich sei es nun, dass die rechte Kampftruppe „Bataillon Asow“ keineswegs verboten sei, sondern sie untersteht dem ukrainischen Innenministerium. Und natürlich stellt sich damit die Frage, wie sich die deutsche Regierung bei ihrer Unterstützung der Ukraine dazu verhält.
Die Lage in der Ukraine ist kompliziert, wie hier ja immer wieder hervorgehoben wird. Und die deutsche Regierung sieht sich mit diesen nahezu undurchschaubaren Verhältnissen konfrontiert. Diese komplizierten Verhältnisse, zu denen offenbar auch die Toleranz einer rechtsradikalen Kampftruppe durch die ukrainische Regierung gehört, sollten zumindest rechtzeitig benannt werden. Hinsehen und Benennen: Das fehlte, als die NSU-Terroristen ihre Morde begingen. Die Staatsanwaltschaft hatte seinerzeit abgelehnt, auch den Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen die Kameradschaft Jena aufzunehmen.